Tach,
ich hab mir ja nun dieses Google Pixel geholt, das Kleine mit kleinem Speicher in ziemlich schwarz. Und weil der Preis stimmte hab ich mir noch die Daydream-Brille dazu geklickt, so als Gimmic. Über das Handy wurde wahrscheinlich schon genug gesagt, aber zu dem VR-Headset wollt ich einfach mal meine eigenen Impressionen aufschreiben.
Fühlt euch frei nur die für euch interessanten Teile zu lesen. Der fette Text soll euch leiten.
Was
Also wers noch kennt, es geht um das neue VR-System von Google. Das sieht im Prinzip so aus:
Es gibt also:
- Die Brille, mit Linsen, einem Haltemechanismus fürs Handy und einem Band zum am Kopf festmachen
- Ein kleiner Controller. Der spricht per Bluetooth mit dem Handy, hat in der Mitte zwei Knöpfe, ist im oberen Bereich ein Touchpad und klickbar, und seitlich gibts noch eine kleine Lautstärkenwippe. Außerdem kann er die Richtung erkennen, in die er gehalten wird, wie eine Wiimote.
- Ein Daydream-zertifiziertes Handy (TM)
- Das Software-Ökosystem dazu (nicht im Bild)
Software
Es geht los mit einer Erklärung wie man das Handy einlegt, dann startet direkt ein ganz nett gemachtes Tutorial, was die Grundlagen des Controllers erläutert. Wenn man damit durch ist oder später wieder startet fängt man in einer Art Launcher-Szene an, so sieht das aus:
Vollständig innerhalb der VR gibts ein Subset des Play Stores für VR-Apps und auch die Möglichkeit, eben jene Apps zu starten. (Man kann sie aber auch im normalen Android-Launcher direkt starten und dann das Telefon in die Brille legen.) Das App-Angebot ist überschaubar, übelste Knaller sind imho nicht dabei, aber absoluten Totalschaden hab ich auch noch keinen gehabt. Es kommen auch ständig neue Sachen dazu. Nicht bahnbrechend, aber schon ganz nett.
Meine Eindrücke
Fangen wir mal mit der Bildqualität an. Alle Daydream-kompatiblen Telefone haben AMOLED-Displays mit tollem Kontrast. Gerade das satte Schwarz ist schon toll in VR. Wie zu erwarten ist das Pentile-Subpixellayout nicht so toll. Scharfe Kanten, besonders Schwarz->Anything sind sichtbar bunt ausgefranst. Wenn man dünne weiße Schrift auf schwarzem Hintergrund hat besteht so ein Buchstabe teilweise nur aus Ausfransung, was dann auch auf die Lesbarkeit geht. Das ist ein Problem der Software, das könnte man durch fettere Schrift oder nicht-schwarzen Hintergrund durchaus so gut machen, dass die Usability nicht leidet. Needless to say, Daydream ist keine Lösung um ernsthaft zu Lesen. Für flächigere Inhalte wie Bilder oder Videos geht die Auflösung und Pixelstruktur i.O. (Das Pixel XL hätte noch ein wenig mehr Pixeldichte, was die Lage mit Sicherheit verbessert, aber die genannten Probleme meiner Schätzung nach nicht eliminieren wird.) Die Schärfe um auch in der Distanz noch nennenswerte Details auszumachen hat es nicht, das gilt aber auch für die aktuellen Highend-VR-Sets wie Oculus oder Vive.
Das Headtracking funktioniert tatsächlich erstaunlich gut. Googles hohe Anforderungen an die Hardware, insbesondere die Sensoren, scheinen sich zu bewähren. Bei normalen Kopfbewegungen (egal ob Drehung oder Nicken oder Neigen) bleibt die VR-Welt gefühlt tatsächlich stehen und man bekommt einen realistischen Eindruck vom "Umschauen". Super.
Daydream hat aber kein position tracking, es erkennt also nur Drehungen aller Art, aber keine Fortbewegung. Man kann damit nicht um Ecken lunzen oder irgendwo nah rangehen oder so. Das manchen andere VR-Headsets nur dank externer Kameras vernünftig, und das hat Daydream halt nicht.
Da VR ja ein separates Bild pro Auge liefert kann es auch echte 3D-Eindrücke vermitteln. Wie zu erwarten ist der Effekt vernachlässigbar für alles was gefühlt mehr als 10-15m weg ist, aber für nähere Sachen gewinnt man einen ziemlich guten Tiefeneindruck. Manchmal klappt die Paralaxe nicht so richtig, dann sind Teile des Bildes als wenn man schielt. Weiß nicht genau woran das liegt, wahrscheinlich stimmt mein Augenabstand nicht ganz mit der Erwartung überein oder so. Ist nett, aber nicht total seamless.
Man merkt schon, dass so ein Handy einfach nicht die Horsepower hat, die Oculus z.B. als Mindestvoraussetzungen für die PCs angibt. Der Daydream-Launcher ist bewusst im Low-Poly Style gehalten, was ich persönlich schick finde, aber wirklich realistisch ist es natürlich nicht. Das gilt für fast alles wo das Handy wirklich selbst 3D rendert. Die Bewertung lass ich hier mal offen, sollte man nur wissen.
Und schließlich noch zum Controller. Erstmal ein Malus: Der hat keinen Kompass, sondern nur ein Accelerometer. In Konsequenz verliert der über die Zeit seine Referenz und man muss ihn neu ausrichten (bei regelmäßiger Zeige-Action vll alle 2min). Das bekommt man ganz am Anfang beigebracht, wenn man lange auf den Home-Button drückt wird Bild und Zeiger neu synchronisiert. Ich finds tatsächlich weniger nervig als es hier gerade klingt und es geht leicht von der Hand. Wenns passt, dann ist das schon cool: Der Controller ist vom Prinzip her total simpel, aber bietet so viel Handhabe für die virtuelle Welt, dass man nicht den Eindruck hat von seinen Werkzeugen zurückgehalten zu sein.
Ehrlich gesagt hab ich noch keine nennenswerten Teile der 3rd-Party Sachen durchprobiert, aber hier mal soweit meine
Eindrücke zu den Apps:
- Vorinstalliert sind natürlich die ganzen Google-Apps. Photos zeigt eigene geschossene Fotos an, die mehr als ein Bild sind, d.h. Panoramen und Photo Spheres aus Google Camera oder VR-Experiences aus Cardboard Camera. Zu anderen Kamera-Apps kann ich nichts sagen. Ich hab bisher immer gern Photo Spheres gemacht, d.h. mehrere assistiert geschossene Einzelbilder werden zu einer 360° Kugel (alle Himmelsrichtungen, als auch oben und unten) zusammengestitcht. Da sich die Einzelbilder annähernd aufaddieren hat man zwar irrwitzig hohe Auflösungen, aber so richtig real fühlt es sich in VR ehrlichgesagt nicht an. Da ist Cardboard Camera besser, das macht ein Video während man das Handy hochkant gehalten 360° dreht (d.h. man macht ein breites Panorama und kann nicht noch unten/oben abdecken) und berechnet daraus ein großes Panorama. Nebenbei fängt es durch irgendwelche Magic noch Tiefeninformationen ein und nimmt außerdem eine Audioschleife der Szene auf. Die Tiefeninformationen sind tatsächlich legit und tragen ungemein zum Eindruck bei, außer bei sich bewegenden Sachen wie laufenden Leuten. Zwar ist die Auflösung geringer, aber für VR reichts locker. Mein klarer Tipp für VR-Panoramen ist also Cardboard Camera. Besser bekommt man den "ich stehe gerade dort"-Eindruck wohl nicht ohne in eine echte 360°-Kamera oder sowas zu investieren.
- Youtube kann ja 360°-Videos, aber dort fehlt es mir ehrlichgesagt an Auflösung. Vielleicht geht das mit 4k, aber die 1080p-Kugelvideos die ich so gesehen habe waren alle ernsthaft matschig. Für manche Sachen ist das nett, es gibt so Videos wo Leute mit einer 360°-Kamera am Selfie-Stick auf Skateboards eine krasse Straße den Berg runterbrettern und so, aber im Allgemeinen hat Derek schon recht. Kommt also immer drauf an. Man kann übrigens auch 2D-Videos auf einer großen Leinwand schauen, aber das wird man nicht wirklich längere Zeit machen.
- Streetview bietet sich natürlich auch an. Sich in 360° umzuschauen funktioniert gut, aber das Springen von Bild zu Bild ist merkwürdig, weil manchmal die Szene hat von Sommer auf Winter gewechselt oder so. Kann Daydream jetzt nichs für, aber die die Welt zu surfen ist nicht so reibungsfrei. Was prominenterweise fehlt ist Google Earth, da gibts ja seit neustem wohl ein VR-Dingens für HTC Vive, aber nicht für Daydream. Schade!
- Der Guardian war Launch-Partner mit einer App, die im Moment zwei "Experiences" bietet. Experience as in 3D-Gerenderte Szene mit Erzählung und begrenztem Interaktionspotenzial. Eins ist ein Rundgang durch ein Stück Londoner Sewers, das andere ein Aufenthalt in einer Einzelhaft-Zelle in einem US-Knast. Ist durchaus interessant gemacht, kann man sich ruhig mal geben. Der Aufwand so etwas zu produzieren ist aber wohl ziemlich hoch gemessen an der Zeit, die man als Nutzer damit verbringt.
- Das Wallstreet Journal hat auch eine App, die ist durchaus ne Empfehlung wert. Die hat auf ihrem "Startscreen" eine Auswahl aus aktuellen Schlagzeilen, einer 3D-Visualisierung von Börsenkursen, und Rubriken für 2D-Videos und VR-Videos. Die VR-Sachen sind ernsthaft interessant, aber rangieren leider wie youtube von matschig bis sehr matschig.
Ursprünglich hab ich mir das Ding mit der Erwartung gekauft dass ich das einmal ne Stunde aufsetze und danach in der Ecke verstauben lasse, aber erstaunlicherweise zieh ichs mir doch häufiger mal fix drüber. Wirklich lange hab ichs typischerweise nicht auf, vielleicht ne halbe Stunde, dann ist erstmal wieder gut. Aber ich finds tatsächlich toll meinen eigenen Content erzeugen zu können, gerade seitdem ich auch Cardboard Camera benutze. Langzeiteffekt kann ich also durchaus bestätigen.
Hardwarevergleich
Vor Daydream gabs von Google ja Cardboard. Ich hatte vor ewigkeiten mal ein 1st gen Cardboard mit dem damaligen Nexus 5 probiert, aber ehrlichgesagt hab ich das glaube recht stümperhaft zusammengekittet, hab jedenfalls nie wirklich scharfe Sicht bekommen. Außerdem hatte ich beim Umschauen im Cardboard immer genug Lag drin, dass es sich einfach nicht immersiv angefühlt hat. Andere mögen da vielleicht bessere Erfahrungen gemacht haben.
Cardboard hat imho zwei große Nachteile: Erstens hat das Headset typischerweise kein Band um es freihändig zu fixieren. Das trägt zu dem Eindruck bei in ein Gerät reinzugucken (wie so Fotobetrachter oder Kinderspielzeuge mit optischen Effekten) als wirklich irgendwo zu sein. Zweitens kann man kaum mit der virtuellen Welt interagieren. Man kann halt irgendwo hinschauen, und es gibt einen Button mit dem man ein Bit Information an die App übergeben kann, aber das ist alles was es gibt. Cardboard bietet sich tatsächlich also eher als Betrachter für sowas wie 360° Bilder an.
Ich hatte neulich im Saturn bei uns mal ein Samsung GearVR mit Galaxy S7 drin auf. So im direkten Vergleich fiel mir auf:
- Das S7 hat auch AMOLED mit Pentile-Matrix, d.h. die selben Probleme mit ausgefransten Rändern wie beim Pixel auch. Ich glaube die Pixelstruktur war feiner, aber das Grundproblem bleibt.
- Das Ding ist ernsthaft schwer. Daydream wurde von allen als besonders leicht gelobt, und mir ist das Gewicht ehrlichgesagt nie nennenswert aufgefallen. Das GearVR hingegen drückt deutlich ins Gesicht.
- Standardmäßig hat das GearVR praktisch keine Controls. Da sind zwar irgendwie zwei Buttons an dem Headset, aber sich an den Kopf zu fassen ist schon blöd. Ich glaub man muss sich irgendeinen third-party controller holen, aber die Grundkonzepte der Interaktion zu standardisieren war imho eine gute Idee von Google mit ihrem Controller.
Die Oculus Rift hatte ich mal paar Minuten im Saturn auf und war damals schon enttäuscht, wie stark die besprochenen Probleme von AMOLED-Displays mit Pentile-Matrix auch bei dem großen Highend-VR-Set auftreten. Rift hat auch noch bisschen mehr Auflösung als mein kleines Pixel, aber nicht ansatzweise genug um die genannten Punkte ernsthaft zu lindern. Da braucht sich Daydream jedenfalls nicht zu verstecken. Was Rift natürlich kann ist erstmal positional tracking und dann gerenderte Szenen mit einem Realitätsgrad darstellen, der Smartphones noch längere Zeit vorenthalten sein wird. Also für ernsthaftes 3D-Gaming wird man um extene Rechenpower wohl nicht umherkommen. Andererseits sind die Smartphone-basierten Lösungen wireless und umschiffen damit ganz elegant einen großen Haufen Komplexität in der Handhabe.