[Split] Wiener Kreis, Philosophie und andere Wissenschaften

  • Philosophen haben einen an der ... *hust*

    Zitat


    Der Wiener Kreis war Anfang des 20. Jahrhunderts überzeugt, wir müssten aus der Philosophie eine empirische Wissenschaft machen, in der nur das wahr ist, was wir beobachten können. Zum Glück kamen Denker wie Wittgenstein und haben das revidiert, indem sie Probleme nicht mit Empirie, sondern durch Sprachkritik lösten. Die Welt bestand für sie nicht aus Atomen, sondern aus Namen.


    aus: Philosophiestudium: "Manchmal kommt dann ein Einfall" – Seite 2 | Studium | ZEIT ONLINE

  • Zitat von klemmi


    Das graust einfach den Physiker in mir.


    ?!

    „Zitate von sich selbst in der Signatur sind doof.“ Chrisse, 2009
    „Hmm... mal was aus 2010 reinnehmen“ Chrisse, 2010
    „Ach, wie die Zeit vergeht...“ Chrisse, 2011
    „Bin immernoch dagegen“ Chrisse, 2012
    „Jetzt auch mit 2013“ Chrisse, 2013
    „2021 ich komme“ Chrisse, 2014
    „Ab jetzt wieder länger“ Chrisse, 2015
    „Gut Ding will Weile haben“ Chrisse, 2016
    „Meine Signatur: Öfter geupdated als mein Windows“ Chrisse, 2017
    „Klicken sie weiter, hier gibt es nichts zu lesen“ Chrisse, 2018
    „Dieser Post kann Spuren von Sarkasmus enthalten“ Chrisse, 2019
    „Reinstate Chiaki“ Chrisse, 2020
    „2021 ist eine Coverstory der Moderation und nie passiert!“, Chrisse, 2022

  • Zitat von klemmi

    Was hat die "Einsteinsche Physik" mit Philosophie zu tun? Auf welche Erkenntnisse beziehst du dich?


    Erstens wären jegliche mathematische Beweise ohne die Gesetze der Logik nicht möglich. Und die Gesetze der Logik haben Philosophen herauskristallisiert. Was sich aus beispielsweise einem Axiom ableiten lässt, und was sich nicht daraus ableiten lässt, das haben Philosophen herausgefunden, nicht Mathematiker.

    Zweitens behaupte ich, dass moderne Physik ohne Erkenntnistheorie (eine philosophische Disziplin) niemals das wäre, was sie heute ist, weil die Erkenntnistheorie unsere Wahrnehmung der Welt grundlegend verändert hat.
    So dass erst durch die Erkenntnistheorie Leute wie Ernst Mach auf die Idee kamen, das Weltbild der Newtonschen Physik ernsthaft zu hinterfragen und damit überhaupt erst den Weg für Einsteins allgemeine Relativitätstheorie zu öffnen (Einstein wurde von Mach beeinflusst).

    Das merkt man auch daran, dass die Philosophie durch Kant zweihundert Jahre vor Einstein bereits Raum und Zeit als grundlegende Voraussetzungen unseres Weltbildes erkannt hat. Natürlich auf einer völlig anderen Ebene, und im Bezug auf Physik sind Kants Begriffe von Raum und Zeit absolut nicht anwendbar, aber trotzdem enstand da eine Veränderung in unser Weltbild, die auch unsere Physik verändert hat.

    Darum reagiere ich allergisch auf die arrogante Art, die manche Naturwissenschaftler gegenüber der Philosophie zeigen. Ohne Philosophie würden Physiker auch heute noch Steine vom schiefen Turm schmeissen.

    Nachtrag: Und verwechsle mir keiner Philosophie mit Esoterik. Das sind Todfeinde.

  • Zitat von gandro


    Erstens wären jegliche mathematische Beweise ohne die Gesetze der Logik nicht möglich. Und die Gesetze der Logik haben Philosophen herauskristallisiert. Was sich aus beispielsweise einem Axiom ableiten lässt, und was sich nicht daraus ableiten lässt, das haben Philosophen herausgefunden, nicht Mathematiker.

    Dia Mathematische Logik wurde von Peano entwickelt. Das war ein Mathematiker, der die Axiome der modernen Logik entwickelte und aufstellte und damit auch den Grundstein für weitere Untersuchungen legte. Dabei sind die Operationen und Gruppen der Logik formal von den bereits bekannten Operationen aus anderen Räumen übernommen wurden.

    Leibniz hat zum beispiel lange versucht, diese formale Logik mit der Lehre der Logik von Aristoteles in Einklang zu bringen. Erfolglos.

    Zitat von gandro


    Zweitens behaupte ich, dass moderne Physik ohne Erkenntnistheorie (eine philosophische Disziplin) niemals das wäre, was sie heute ist, weil die Erkenntnistheorie unsere Wahrnehmung der Welt grundlegend verändert hat.
    So dass erst durch die Erkenntnistheorie Leute wie Ernst Mach auf die Idee kamen, das Weltbild der Newtonschen Physik ernsthaft zu hinterfragen und damit überhaupt erst den Weg für Einsteins allgemeine Relativitätstheorie zu öffnen (Einstein wurde von Mach beeinflusst).

    Was Mach getan hat, ist einfach (im Gegensatz zu den Physikern, die versuchten Erscheinungen zu verknüpfen) zu beschreiben, was er beobachtet hat. Mach schrieb, dass es keinen "Lichtstoff" (wie er das Äther nannte) gibt. Warum?: Weil er keinen sehen/nachweisen kann!

    Gegen Denker wie Mach habe ich ja auch gar nichts. Mach war auch im Wiener Kreis. Diese Vereinigung wird aber im Zitat direkt abgelehnt, obwohl der Wiener Kreis in meinen Augen echt vernünftige Ansätze hat!

    Zitat von gandro


    Das merkt man auch daran, dass die Philosophie durch Kant zweihundert Jahre vor Einstein bereits Raum und Zeit als grundlegende Voraussetzungen unseres Weltbildes erkannt hat. Natürlich auf einer völlig anderen Ebene, und im Bezug auf Physik sind Kants Begriffe von Raum und Zeit absolut nicht anwendbar, aber trotzdem enstand da eine Veränderung in unser Weltbild, die auch unsere Physik verändert hat.


    Die sprachanalytischen Philosophen halten nicht allzuviel von Kants Theorien.

  • Zitat von klemmi

    Leibniz hat zum beispiel lange versucht, diese formale Logik mit der Lehre der Logik von Aristoteles in Einklang zu bringen. Erfolglos.


    Die aristotelischen Logik war auch nicht der Logik letzter Schluss (haha), aber ohne sie gäbe es Mathematik wie wir sie kennen trotzdem nicht. Peano beschäfftigte sich offenbar viel mit Erkenntnissen von Euklid, und der wiederum schlug sich mit Aristoteles rum.

    Zitat von klemmi

    Diese Vereinigung wird aber im Zitat direkt abgelehnt, obwohl der Wiener Kreis in meinen Augen echt vernünftige Ansätze hat!
    [...]
    Die sprachanalytischen Philosophen halten nicht allzuviel von Kants Theorien.


    Wie in jeder anderen Wissenschaft auch, gibt es in der Philosophie nun mal verschiedene Strömungen. Aber weil die Philosophie sehr tief greift und früh viel hinterfragt, verzweigen die verschiedenen Strömungen halt bereits an grundlegenden Dingen, was zu krassen Meinungsverschiedenheiten führt, ein Problem was andere Wissenschaften nicht in dem Ausmass kennen. Trotzdem stellt das keine Wissenschaft über die Philosophie oder umgekehrt.

    Jetzt muss ich vorsichtig sein, damit ich dir nichts in den Mund lege, was du nicht behauptet hast.

    Aber wenn ich lese "Die Welt bestand für sie nicht aus Atomen, sondern aus Namen." - "Das graust einfach den Physiker in mir.", dann impliziere ich, dass du eine philosophischen Strömung als "grausenswert" erachtest, weil sie nicht die gleichen Modelle der Physik teilt..?

  • Zitat von klemmi

    Gegen Denker wie Mach habe ich ja auch gar nichts. Mach war auch im Wiener Kreis. Diese Vereinigung wird aber im Zitat direkt abgelehnt, obwohl der Wiener Kreis in meinen Augen echt vernünftige Ansätze hat!
    [...]
    Die sprachanalytischen Philosophen halten nicht allzuviel von Kants Theorien.


    Nachtrag:

    Hab vorhin mit einem Freund diskutiet, der Philosophie studiert und hab ihn darauf angesprochen.

    Wie im Beitrag eigentlich steht, wenn man ihm genau liesst, wurde dem Wiener Kreis von Wittgenstein nicht wiedersprochen! Die Ideen des Wiener Kreises wurden in Betrachtung der analytischen Philosophie (auch Sprachkritik) von Denken wie Wittgenstein (im besonderen) nicht wiedersprochen. Im Gegenteil, Wittgenstein und andere waren selber Teil des Wiener Kreises und versuchten, Philosophie, weil sie in Sprache ausgedrückt so missverständlich ist, auf Empirie und damit sprachlich auf vorhandene Begriffe zu reduzieren.

    Es hat sich aber herausgestellt, dass wenn man mit der vorhandenen Sprache als solches philosophische Probleme nicht angemessen formulieren kann, weil es einfach (sprachlich) zu kompiliziert wird, um eindeutig genug zu sein. (Wer Kant liesst, weiss was ich meine). Daher hat sich dann die Philosophie und Wittgenstein im besonderen wieder zurückbesonnen und lief daraus hinauf, dass man philosophische Probleme in Alltagsprache formuliert. Weil nicht die Welt die Sprache formt, sondern die Sprache von der Anwendung auf die Welt geformt wird.

    Sprachkritiker wie der genannte Wittgenstein stehen damit nicht wirklich in Kontraposition zum Wiener Zyrikel, sondern sind eher als Weiterentwicklung (oder um beim Wortlaut der Zeit zu bleiben: Revision) zu verstehen.

    Hoffe das macht einigermassen Sinn, weil bin nicht mehr ganz nüchtern. Bis morgen.

  • Zitat von gandro


    Die aristotelischen Logik war auch nicht der Logik letzter Schluss (haha), aber ohne sie gäbe es Mathematik wie wir sie kennen trotzdem nicht. Peano beschäfftigte sich offenbar viel mit Erkenntnissen von Euklid, und der wiederum schlug sich mit Aristoteles rum.

    So genau kenne ich Peano nicht, aber ich sehe die Verbindung zwischen Peano und Aristoteles nicht. Wenn du dich auf den Begriff des Axioms beziehst, den Aristoteles als erster definiert hat und den Euklid natürlich aufgegriffen hat, so ist das klar. Jedoch würde ich das jetzt nicht als von eminenter Bedeutung sehen, in sofern, dass die Definition des Axioms, wie sie Peano benutzte nichts Atemberaubendes ist, und von Hilbert kurz später auch überarbeitet wurde.

    Zitat von gandro


    Aber wenn ich lese "Die Welt bestand für sie nicht aus Atomen, sondern aus Namen." - "Das graust einfach den Physiker in mir.", dann impliziere ich, dass du eine philosophischen Strömung als "grausenswert" erachtest, weil sie nicht die gleichen Modelle der Physik teilt..?

    Die Philsophie versucht die Welt zu verstehen. Das versuchen alle anderen Wissenschaften auch! Deshalb wird man immer Schnittmengen finden! Die Philosophie profitiert dabei von der Physik und umgehkehrt.
    Das heißt aber noch lange nicht, dass ich alle ihre Aussagen akzeptieren muss! Ich lehne Denkweisen wie die des Wiener Kreises in keiner Weise ab, weil sie fundiert sind, weil sie sich auf Greifbares (die Beobachtung) stützen und nicht versuchen, eine menschliche Abstraktionsebene (z.B. Sprache) als Basis zu sehen,um die Natur zu verstehen.

    EDIT: Deinen neuen Beitrag muss ich morgen einmal in ruhe lesen, jetzt schlafe ich erstmal, da ich auch nicht mehr ganz nüchtern bin. Bis dann!

    Einmal editiert, zuletzt von klemmi (16. Mai 2010 um 02:37)

  • Zitat von gandro


    Wie im Beitrag eigentlich steht, wenn man ihm genau liesst, wurde dem Wiener Kreis von Wittgenstein nicht wiedersprochen! Die Ideen des Wiener Kreises wurden in Betrachtung der analytischen Philosophie (auch Sprachkritik) von Denken wie Wittgenstein (im besonderen) nicht wiedersprochen. Im Gegenteil, Wittgenstein und andere waren selber Teil des Wiener Kreises und versuchten, Philosophie, weil sie in Sprache ausgedrückt so missverständlich ist, auf Empirie und damit sprachlich auf vorhandene Begriffe zu reduzieren.


    Hm, das habe ich dann im Artikel echt falsch verstanden, ich dachte echt, Wittgenstein weist den Wiener Zirkel und dessen Ansichten zurück, was ich auch u.A. dem zitierten Text entnahm.
    Weiterhin betreibt ja Wittgenstein ein sprachanalytisches Vorangehen. Ich glaube/weiß nicht, ob das auch schon um 1900 im Wiener Zirkel so vorherrschende Meinung war.

    Zitat von gandro


    Weil nicht die Welt die Sprache formt, sondern die Sprache von der Anwendung auf die Welt geformt wird.


    Das verstehe ich vielleicht gerade falsch, aber sollte nicht anhand von Beobachtungen der Welt die Sprache sich den Beobachtungen anpassen.
    Versucht die sprachanlytische Philosophie das nicht genau andersrum?

  • So, mal ein Thread mich interessiert - ich habe Lust ihn auszugraben. ;D

    Was der ganz basale Punkt ist, den gandro glaube ich machen möchte: Davon abgesehen, (1) dass wir ohne Philosophie keine Physik hätten, (2) hätte sich die Physik auch nicht zum jetzigen Niveau emporschwingen können, wenn hier nicht Philosophen etwas geleistet hätten.
    Bei (1) bin ich nicht sicher; der radikale Wandel der wissenschaftlichen Methoden (Beobachtung, Experiment) ist von Philosophen - z.B. Roger Bacon im 13.(?) Jahrhundert - zwar irgendwo derart vorbereitet worden, dass es denkbar wurde, sich der empirischen Natur zu widmen (die "Entdeckung der Wirklichkeit" ist im Mittelalter ein Projekt, dass von der Philosophie ausging). Die letztliche Ausformung dieser Methoden ist aber durch die Naturwissenschaften selbst, und nicht durch philosophische Reflexion geschehen. Kants Kritik der reinen Vernunft möchte den Wissenschaften ein Fundament liefern; er bezieht sich beispielsweise auf Newtons Theorie, die vor ihm entstanden ist - das Fundament wurde nachgereicht. Und inwiefern sich Einstein auf Newton philosophisch bezieht weiß ich nicht; soweit ich weiß ist Lichtgeschwindigkeit ein Postulat, dass den newton'schen Äther ersetzen soll (der war ja ein Postulat, um die Annahme von kausaler Verursachung ohne räumliche Nachbarschaft zu vermeiden) (?). Anyway; die Naturwissenschaften entwickeln sich inhärenter als man glaubt, und Epistemologie/Wissenschaftstheorie entsteht erst nachdem die Wissenschaften schon funktionieren, das sind Rekonstruktionen und keine normativen Projekte, nach denen sich Wissenschaftler gerichtet hätten (sie haben es zum Glück seit der Neuzeit nicht mehr getan). Ob jetzt die eine oder andere Zeile von Mach Einsteins Geist beflügelt hat; ja gut, aber das würde ich als nicht so maßgeblich ansehen.

    Das gilt auch für die Mathematik. Selbst auf der paradigmatischen Ebene der Diskussion um die richtige Fundierung in Axiomen - die Wandel gingen immer von neuen Mathematikern bzw. Mathematiken aus. Bevor Aristoteles den antiken Axiomenbegriff expliziert hat, gab es Mathematiker, die wie Euklid verfahren sind. Weil im 19. Jahrhundert dann die nichteuklidische Geometrie von Bolyai und Lobatschew entwickelt werden, verfällt Evidenz als Kriterium für die Axiome - und sodenn tritt Hilbert mit seiner finistischen Beweistheorie auf den Plan, aus dem sich wegen Gödel der schwächere, und noch heute akzeptiere Formalismus sich entwickelt. Zu Hilberts Beweistheorie ist die systematische Korrespondenz in der philosophischen Erkenntnistheorie höchstens der sog. Kohärentismus, der im Wiener Kreis entwickelt worden ist - aber eben auch erst nach Hilbert. (Edit: Aussage des Absatzes sollte sein: schaut mal, das sind alles Mathematiker, die die Umbrüche im metamathematischen denken eingeleitet haben, deswegen das Name-Droping).

    Und zu (1): ich würde sagen, der Punkt ist entweder trivial oder nicht richtig. Wir könnten das konkretisieren: ohne Vorsokratik (und spätere Philosophie...) hätten wir keine westliche Wissenschaft in der heutigen Form. Das ist denke ich definitiv richtig.
    Doch was folgt daraus? Wir können zwei Interpretationen dieser Tatsache unterscheiden: entweder wir verstehen die (a) griechische Philosophie als Wissenschaft, die noch keine Spezialisierung kennt, (b) oder wir verstehen sie als echte, spezifische Philosophie.
    Unter der ersten Interpretation ist der Satz offenbar tautologisch: ohne Wissenschaft keine spätere Wissenschaft. Die zweite Interpretation ist die hier interessante; und die halte ich für falsch.
    Mathemaitk hat sich im alten Orient als praktisches Erforderniss schon zu einem recht hohen Niveau entwickelt. Mathematiker haben in Griechenland axiomatisch strukturierte Theorien verfasst, bevor Aristoteles den Axiomenbegriff expliziert hat (der Titel "Die Elemtente" bzw. im Original "Stoicheia" ist ein Titel der längere Tradition hat; Mathematiker vor Euklid haben Werke verfasst, die wahrscheinlich schon sehr ähnlich dem von Euklid sein mussten - das erste etwa 430 v. Chr., vor Aristoteles). Das heißt, dass auch hier erst die philosophische Rekonstruktion / Explikation der sich inhärent entwickelnden Wissenschaft periodisch verschoben ist. Insofern lässt sich wahrscheinlich eine Mathematikgeschichte rekonstruieren, die auf philosophische Reflexionen nur als Explikationen des schon geleiisteten mathematischen Tuns bezieht (wow, für mich ist das ein Moment einer ganz neuen Erkenntnis, weil ich das in meiner Facharbeit noch anders gesehen habe). Philosophie hat nichtmal im antiken Griechenland, nichtmal Aristoteles hat Euklid paradigmatisch vorbereitet, möchte ich jetzt behaupten. Wahrscheinlich hat man es hier nicht nur mit kontingenten Momenten zu tun; es wäre interessant zu fragen, was der systematische Grund hierfür ist.

    Fazit: Philosophie inspiriert die Wissenschaft kaum mehr, als der herunterfallende Apfel Newton inspiriert hat. Selbst in paradigmatisch sehr subtilen Fällen können wir die (zumindest die mathematische) Wissenschaftsgeschichte so rekonstruieren, dass Philosophie nur ein immer preiodisch verschobenes, explizierendes Anhängsel ist. Diese Explikationen sind nichtmal die Provokationen, die die paradigmatischen turns hervorrufen; auch die geschehen vor ihrer jeweiligen Explikation. Euklidische Geometrie ist ohne Philosophie entstanden und niedergegangen.

    (Man könnte noch eine feinere Körnerung einstellen: die syllogistische Logik des Aristoteles würde ich als eine sehr unphilosophische Leistung ansehen, als eine logisch/mathematische eben. Aristoteles führt Variablen, Differenzierung von Prämissen und Konklusion ein usw. Er stellt basale Syllogismen auf (A - B, B - C => A - C), auf die sich die anderen dann reduzieren lassen sollen usw. usw.. Das hat nicht viel mit Philosophie zu tun; die philosophischen Leistungen, Kategorienlehre, Explikation des Axiomenbegriffs usw. wiederrum stehen der Mathematik nach.
    Es ist richtig zu sagen: ohne Aristoteles Logik hätten wir keine Logik von Peano erhalten. aber es ist falsch zu sagen, dass Peano also ne philosophische Vorbereitung hatte (und das stimmt auch nicht in Bezug auf die Axiome der Peano-Arithmetik, siehe oben).

    Bis hier hin vertrete ich also eine Position, die die Selbstständigkeit von Wissenschaft gegenüber philosophischer Reflexion hervorhebt. Ich möchte in jedem Fall aber gegen Positionen argumentieren, die eine Selbstständigkeit von Wissenschaft/Beobachtung gegenüber Sprache, also an und für sich sozusagen, vertreten. Wissenschaft ist begrenzt und etwas auf der Erde stehendes. Bevor ich mich verschiedenen Punkten von Klemmi widme, die das Gegenteil suggerierten, kurz vielleicht eine Erläuterung wegen analytischer Philosophie/Wiener Kreis.

    Die meisten Mitglieder des Wiener Kreis (Mach gehört übrigens nicht dazu; der war schon tot seinerzeit) vertreten den sogenannten logischen Positivismus. Der Wiener Kreis möchte ein für Sätze ein Sinnkriterium angeben, das entscheidet, welche Säze bedeutungsvoll (~wissenschaftlich) sind, und welche bloß zum metaphysischen gesülze der Zeit gehören. Und dieses Kriterien soll beim logischen Positivismus sein: der Satz lässt sich verfizieren[i]. Das heißt, er referiert eine Struktur in der Wirklichkeit, die man empirisch messen kann, und mit der man eine entsprechende Aussage verifizieren kann.
    Der frühe Wittgenstein des Tractatus hat diese Ansicht auch verteten. Seine Position geht noch ein bischen weiter; sie sagt, alle Probleme der Philosophie wären sprachliche Probleme. Wenn wir Sprache klar fassen, wenn wir sinnlose Aussagen (das sind Aussagen, die nicht verfiziert werden können/nicht Wirklichkeit korrekt abbilden) aus unseren Argumentation eliminieren können wir die Probleme der Philosophie lösen. Philosophieren heißt Sprachkritik.
    Und weil Wittgenstein mit dem Tractatus alle Probleme der Philosophie gelöst hat, ist er erstmal in eine tiefe Depression verfallen und Grundschullehrer geworden - um später seine eigenen Ansichten zu destruieren. Er vertritt dann eine Position, die Bedeutung nicht mehr in der Korrespondenz zur Wirklichkeit verortet, sondern Bedeutung von sprachlichen Zeichen in der [i]Verwendungsweise
    sieht. Das heißt: ein Satz bezieht sich nicht primär auf wirkliche Strkturen sondern auf die soziale Verwendung, und gewinnt erst im sozialen Kontext Bedeutung. Ne berühmte Anekdote ist: der frühe Wittgenstein ist auf einem italienischen Philosophiekongress. Jemand fragt Wittgenstein: was bedeutet das? und macht diese italienische Geste, wo man mit dem Handrücken den hals bis zum Kinn herauffährt (entspricht etwa unserem Mittelfinger). Und Wittgenstein hätte hieraus erkannt, dass sprachliche Zeichen im sozialen Kontext bedeutungsvoll werden.
    Kurz und bündig: Wittgenstein hat zuerst eine Art Korrespondenztheorie der Bedeutung vertreten, die im Wiener Kreis üblich war; und er hat dann eine Wendung hin zur Bedeutung nicht in Bezug auf Welt sondern in Bezug auf soziale Strukturen gemacht.
    Also der Wiener Kreis gehört in die 20er/30er bis ungefähr zum Anschluss Österreichs (der Begründer, Moritz Schlick ist 1938 oder so von einem verrückten erschossen worden). Wittgenstein hatte seinen Tractatus glaube ich 23 veröffentlich; er hat bis in die 50er gelebt. Wann genau er sich vom Wiener Kreis distanziert weiß ich nicht; wahrscheinlich in den 30ern oder in seiner Zeit in Cambridge.

    Zu klemmi:
    "Ich lehne Denkweisen wie die des Wiener Kreises in keiner Weise ab, weil sie fundiert sind, weil sie sich auf Greifbares (die Beobachtung) stützen und nicht versuchen, eine menschliche Abstraktionsebene (z.B. Sprache) als Basis zu sehen,um die Natur zu verstehen."
    "Das verstehe ich vielleicht gerade falsch, aber sollte nicht anhand von Beobachtungen der Welt die Sprache sich den Beobachtungen anpassen.
    Versucht die sprachanlytische Philosophie das nicht genau andersrum?"

    Seit 2009 arbeite als Fremdemführer und halte in Köln Führungen durch die romanischen Kirchen ab. In der Zwischenzeit habe ich mich in das Vokabular der Architektur von Kirchen ein wenig eingearbeitet. Ich weiß jetzt, was eine Fiale, ein Tympanon oder eine Lisene ist.
    Ich stelle mir vor, wie ich z.B. 2005 mal in eine Kirche gegangen bin. Das basale Vokabulra der deutschen Sprache habe ich ja; ich sehe ein Portal, Türme, Bögen, Fenster. Aber - da ich keine Ahnung von Kirchen habe - sehe ich zu diesem Zeitpunkt ein Mittelschiff, einen Spitz- und einen Rundbogen, ein gotisches und kein romanisches Fenster? Unzweifelhaft ist ja ohnehin, dass ich keine Lisene, Fiale oder Tympanon gesehen/erkannt habe.
    Die Individuation von Dingen als einem Ding in der Welt geschieht erst vor dem Hintergrund schon vorhandener Begriffe. Gegenüber dem Welterleben ist Sprache primär. Wir erkennen etwas nicht, wenn wir dafür keinen Begriff haben; ich habe eine Säule in meiner Beobachtung nicht in Kapitell, Basis und Schaft (?) zerlegen können, solange ich nicht dafür die Begriffe hatte.
    Meine Sprache strukturiert offenbar meine Beobachtung, und nicht meine Beobachtung meine Sprache. Wissenschaften sind durch die Art und Weise, in der wir Sprache verwenden, konstituiert. In der Physik wird es offenbar keinen Neologismus geben, der nicht Platzhalter für einen mathematischen Term ist. Die Physik hat unser Weltverständnis auch nicht grundlegend verändert, weil wir immernoch in denselben Begriffen denken - Zeit, Raum, Energie. Die Physik hat keine neuen Worte oder Begriffe erzeugt, die die Welt feiner individuieren würden, als es eine normale, eloquente Sprache nicht normalerweise schon tun könnte. Die Physik hat schlicht nicht die Phänomene vermehrt oder noch weiter zerlegt.
    Kant hatte hier einen guten Punkt. Erkenntnis ist kein Prozess, der Objektgeleitet wäre. Er ist subjektgeleitet. All diese Wissenschaft funktioniert nur als eine große Projektion auf unsere Anschauungen; weil wir auf die elektronischen Signale, die uns unsere Sinne geben, Strukturen wie Zeit, Raum, Kausalität projizieren müssen, um sie vertsehen zu können. Bei analytischen Philosophen ist Kant hierfür und - soweit ich weiß - auch ansonsten in keiner Weise unbeliebt.

    Ludwig Wittgenstein hat in seinem Tractatus die These vertreten: "Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt." Bekanntlich wollen Philosophen nichts über die Welt wissen, sondern eigentlich nur etwas über unser Weltverständnis herausfinden. Und ich glaube, wenn man die These vertritt: "Die Art und Weise, in der wir sprechen, ist für unser Welterleben konstitutiv" dann ist es doch schon nen guter Ansatz, durch die nähere Betrachtung der Sprache mehr über die Art und Weise herausfinden zu wollen, in der wir die Welt wahrnehmen.

    Nachtrag: Klemmi, das müsstest du mir erklären:
    "Dia Mathematische Logik wurde von Peano entwickelt. Das war ein Mathematiker, der die Axiome der modernen Logik entwickelte und aufstellte und damit auch den Grundstein für weitere Untersuchungen legte. Dabei sind die Operationen und Gruppen der Logik formal von den bereits bekannten Operationen aus anderen Räumen übernommen wurden. Leibniz hat zum beispiel lange versucht, diese formale Logik mit der Lehre der Logik von Aristoteles in Einklang zu bringen. Erfolglos."
    1. Welche Operationen? Was sind "Gruppen der Logik"? Aus welchem Räumen wurden die übernommen? Und was heißt hier "formal [aus Räumen] übernommen"?
    2. Inwiefern ist formale Logik mit Aristoteles nicht vereinbar? Die Syllogismen, die Aristoteles als Basal angesehen und hat, und auch die Schlüsse, die er auf die 8 basalen Syllogismen zurückführen konnte, sind offenbar sehr leicht in nem PL1-Kalkül des natürlichen Schließens beweisbar. Was ist hier diese formale Logik?

    Einmal editiert, zuletzt von miguel (22. August 2010 um 00:19)

  • Ist lang, sehr lang; länger sogar als ich dachte. Ich weiß, dass das nicht gerade die feine englische Art ist. Aber ehrlich gesagt; mir ist es egal ;) Warum sollte man nicht einfach anfangen nach Lust und Laune zu schreiben, wo vom Thread und vom Forum nicht viel zu erwarten ist

    Einmal editiert, zuletzt von miguel (21. August 2010 um 19:28)

  • naja gut, aufklärung... ob sich die wissenschaftsgeschichte der physik ohne philosophie rekonstruieren lässt - ich habe da den einfluss machs auf einstein schlicht so ein bischen runtergeredet, ohne es näher zu wissen... ;) finde, bezüglich der physik war ich eigentlich recht undeutig, und wahrscheinlich ist das auch unsicher. bei der mathematik glaube ich ist es wahrschienlich auch nicht ganz klar dargestellt; aber es ist schonmal richtig, denke ich. unabhängig meiner meinung; ich habe da in jedem fall eine streitbare these vertreten

    den späteren teil vom verhältnis wissenschaft - sprache; ich habe das als replik auf ein paar bemerkungen von klemmi geschrieben, und, weil ich mehr als nur "pro wissenschaft" sein wollte. ich glaube, klemmi versteht physik als etwas sehr selbstständiges, ganz objektives, allmächtiges; damit wollte ich ein bischen brechen, vielleicht um darüber streit zu haben ;D

  • Zitat von miguel


    Zu klemmi:
    "Ich lehne Denkweisen wie die des Wiener Kreises in keiner Weise ab, weil sie fundiert sind, weil sie sich auf Greifbares (die Beobachtung) stützen und nicht versuchen, eine menschliche Abstraktionsebene (z.B. Sprache) als Basis zu sehen,um die Natur zu verstehen."


    Genau das wollte ich damit sagen:

    Zitat von miguel


    "Das verstehe ich vielleicht gerade falsch, aber sollte nicht anhand von Beobachtungen der Welt die Sprache sich den Beobachtungen anpassen.
    Versucht die sprachanlytische Philosophie das nicht genau andersrum?"

    Zitat von miguel


    Nachtrag: Klemmi, das müsstest du mir erklären:
    "Dia Mathematische Logik wurde von Peano entwickelt. Das war ein Mathematiker, der die Axiome der modernen Logik entwickelte und aufstellte und damit auch den Grundstein für weitere Untersuchungen legte. Dabei sind die Operationen und Gruppen der Logik formal von den bereits bekannten Operationen aus anderen Räumen übernommen wurden. Leibniz hat zum beispiel lange versucht, diese formale Logik mit der Lehre der Logik von Aristoteles in Einklang zu bringen. Erfolglos."

    Zitat von miguel


    1. Welche Operationen? Was sind "Gruppen der Logik"? Aus welchem Räumen wurden die übernommen? Und was heißt hier "formal [aus Räumen] übernommen"?


    In der Mathematik definiert man sich zuerst einmal Mengen. Das können Teile eines Raumes (R² R³, um nur 2 zu nennen) sein. Diese Mengen können dann zu Gruppen zusammengefasst werden, indem man Abbildungen definiert. Das Skalarprodukt (Operation) ist z.B. eine Abbildung aus dem R(n) in den R(1).
    Das genau und vor allem Exakt zu erklären, da muss man sich mal ein Lehrbuch der Gruppentheorie hernehmen.

    Aber im speziellen kann ich mir die abstrusesten Räume nehmen (Menge aller Primzahlen oder whatever) und meine eigenen Operationen definieren.

    Zitat von miguel


    2. Inwiefern ist formale Logik mit Aristoteles nicht vereinbar? Die Syllogismen, die Aristoteles als Basal angesehen und hat, und auch die Schlüsse, die er auf die 8 basalen Syllogismen zurückführen konnte, sind offenbar sehr leicht in nem PL1-Kalkül des natürlichen Schließens beweisbar. Was ist hier diese formale Logik?

    Ich kann einen formalen Satz nicht auf die formale Logik abbilden.

    Wenn ich z.B. sage:
    Das Wasser ist blau.
    Dann kann ich zwar mathematisch fassen:
    Die Aussage: Das Wasser ist blau ist

    • wahr
    • falsch
    • unter der Bedingung xy wahr/falsch


    Allerdings kann ich niemals eine Gruppe definieren, die die Informationen dieses Satzes in dieser Weise enthällt.
    Ich kann lediglich einen Verweis erstellen.
    Das heißt, ich kann Wasser "anschauen" und ein mathematisches: Diese Aussage ist wahr oder falsch formulieren. Ich kann aber dann nur eine Abbildung/Verknüpfung zur Aussage schaffen, sie aber nicht mathematisch formulieren.

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