Ich wollte seit längerem mal etwas genauer über die Internetzensur in der Schweiz nachforschen, da die Schweiz bei der Debatte in Deutschland desöfteren als Beispiel genannt wurde. Das habe ich jetzt mal für mich getan und wollte ursprünglich im UIT dann einen Kommentar abgeben, aber der Beitrag ist etwas grösser geworden, drum poste ich ihn hier.
Also, falls sich einer dafür interessiert, wie die Lage der Internetzensur in der Schweiz ist:
In Deutschland gibt es im Telemediengesetz jetzt einen richtigen Zensuartikel (
Art. 8 Telemediengesetz), der vereinfacht ausgedrückt lautet: "Staat macht Sperrliste, Provider
müssen diese Inhalte sperren, die Provider müssen wöchentlich Zugriffszähler melden."
In der Schweiz gibt es kein entsprechendes Gesetz. Es gibt aber im Strafgesetzbuch (StGB) hier und da die Floskel "zugänglich machen". Beispielsweise im
Art. 197,III StGB, Pornographie:
Zitat:Wer Gegenstände oder Vorführungen im Sinne von Ziffer 1, die sexuelle Handlungen mit Kindern oder mit Tieren, menschlichen Ausscheidungen oder Gewalttätigkeiten zum Inhalt haben, herstellt, einführt, lagert, in Verkehr bringt, anpreist, ausstellt, anbietet, zeigt, überlässt oder zugänglich macht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
Dabei ist noch wichtig zu erwähnen, dass es keine Rolle spielt, an welcher Stelle man in der Informationskette ist (z.B. ob man nur Briefträger ist), sondern ob man die geeigneten Mittel einer Verhinderung der Verbreitung hat (DNS-Server ist ein solches Mittel).
Legitimiert wird ein solches Gesetz, welches ja eigentlich den
Art. 17, II der Bundesverfassung ("Zensur ist verboten.") verbiegt, durch
Art. 36 der Bundesverfassung, wodurch Grundrechte eingeschränkt werden können, wenn dies zum Schutze Grundrechte Dritter geschieht.
In der Praxis läuft das also so, dass (glaube ich) die
Koordinationsstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität offenbar eine Sperr
empfehlung an die Provider rausgibt. Das heisst, dass die Provider selber verantwortlich sind: Sie müssen nicht sperren, machen sich aber u.U. strafbar, wenn man über den Provider an Kinderporno rankommt, und dieser es verhindern hätte können.
Einige der Seiten in dieser Sperrliste
sind bekannt, mit dem DNS-Server meines Providers (Bluewin) lande ich auf folgender Sperrseite:
STOPP! STOP! ///////// KOBIK / SCOCI / CYCO ///////// STOPP! STOP! (die Seite von Cablecom sieht meines Wissens gleich aus). Die meisten (alle?) genannten Seiten da sind offenbar bereits wieder offline, aber trotzdem noch gesperrt (bei mir zumindest).
Leider gibt es kein Präzedenzfall, bei dem ein Provider bestraft wurde. Das ganze ist also eine Rechtsunsicherheit, es sperren daher auch nicht alle Provider (Cablecom und Bluewin sperren, init7 hingegen nicht).
Im überigen dürfen Provider nicht-strafbare Inhalte keinesfalls sperren oder zensieren.
Die von mir vor einigen Tagen gepostete blockierte Seite
appel-au-peuple.org wurde im überigen nicht durch die Sperrempfehlung gesperrt, sondern durch eine Sperrverfügung einer waadtländer Untersuchungsrichterin, die ihre Kompetenzen überschritten hat. Der schweizer Provider init7 (die beiten überigens auch IPv6 an Private an)
hat dagegen erfolgreich protestiert: Die Sperre ist als unzulässig zurückgewiesen worden, die Seite muss (darf?) somit nicht mehr gesperrt werden. Warum Bluewin, als grösster Schweizer Provider, die Seite immer noch sperrt, ist mir momentan nicht klar.
Quelle dieser Information sind die Kommentare folgendes Symlink-Beitrages:
symlink.ch | Schweizer Zensurliste veröffentlicht