Der Religionsflame
Einen schon angesprochenen Punkt möchte ich nochmal vorbringen, und vielleicht noch einmal etwas expliziter machen.
Du hast mehrmals davon gesprochen, dass Religion a) vermag, eine Sinnstiftung zu leisten, und das wegen b) großer metaphysischer Spekulationen. Mich stört diese Ansicht garnicht, du hast dich hier meiner Position genähert; aber du hast noch nicht die Konsequenzen daraus gezogen.
Der Punkt, der mich stört, ist, dass du diese metaphysischen Erzählungen rein deskriptiv ausdeutest. "Gott existiert" interpretierst du - wie ich schon sagte - als die ontologische Aussage, dass es eine Entität gibt, die Gott heißt. "Gott existiert" liest du wie "Joe Cocker existiert" oder "Mein Handy existiert". Durch rein deskriptive Aussagen kann ich aber nie eine Sinnstiftung vornehmen (sonst wäre, wie gesagt, jede Diskussion überflüssig). Wenn die metaphysische Erzählung als solche als ein Tatsachenbericht, als ontologischen Aussagen über die Existenz von Entitäten in der echten Realität ernst genommen wird, dann verliert sie diesen Charakter. Der Punkt ist, dass, wenn du Religon die Funktion (a) zuschreibst, sie diese nicht durch das Fakt (b) erfüllen kann. Dann besteht zwischen dem Vermeintlichen Fundament der Sinnstiftung (b) und der Sinnstiftung (a) kein Zusammenhang. Für die Funktion von Religion, für das, was Religion ist, kann (b) dann ersatzlos gestrichen werden.
Eine (Fundierungs-/Verursachungs-) Beziehung zwischen (b) und (a) kann ich nur herstellen, wenn ich aufhöre, den metaphysischen Ratenschwanz von Religion als Metaphysik ernst zu nehmen. Wenn ich es als eine unverbindliche Erzählung begreife, als eine Metapher. "Gott existiert" ist dann keine Aussage mehr über (vermeintlich, wie ich gerne mit euch sage) existierende Entitäten, sondern ist eine Metapher, ist eine ganze Weltdeutung. Ein Verhalten zu Tatsachen, und keine Beschreibung zu Tatsachen.
Erzählungen wie die Schöpfungsgeschichte kannst du als Metaphysik oder Tatsachenbericht nur ernst nehmen, wenn du nicht behauptest, dass die Funktion von Religion Sinnstiftung ist. Die Frage, auf die alles für mich hinauszulaufen scheint, ist nur noch, ob man sein Leben als sinnvoll deuten muss oder das eine Praxis ist, die anthropologisch ist, also sich bei jedem Menschen findet. Wenn jeder Mensch sein Leben als sinnvoll deuten muss, und man sagt, das Religion zum Teil diese Funktion übernimmt, dann kann man nicht mehr sagen, dass Religion ein Tatsachenbericht ist.
Der Punkt, um den es mir beim "füreinander da sein"-Beispiel schlicht und einfach ging, ist, dass er nicht einer rein rationalen überlegung entspring, dass sich vernunft nicht selbst (aus sich heraus) legitimieren kann. Ich meine, es ist klar, dass es gut und berechtigt ist, dass wir alle das so praktizieren; die Frage ist einzig und allein, ob es eine Verhaltensweise ist, die alleine durch Rationalität hervorgerufen wird. Überlebensinstinkt ist glaube ich ebenfalls etwas nicht-rationales; welchen Grund sollte es schließlich für mich geben, überleben zu wollen? Er hat vielleicht eine Ursache, und ist damit den Naturwissenschaften (Evolutionstheorie) zugänglich; aber er hat keinen Grund (wahrscheinlich ist die Antwort darauf eine religiöse). Ich wollte nichts an unserem normalen Verhalten hier in Frage stellen, sondern nur deutlich machen, dass wir dieses nicht als bloß aus unserer Rationalität aus sich selbst heraus begründet ansehen können.
Kann man Normativität alleine aus Rationalität schöpfen? Ich behaupte, dass das in keiner Weise möglich ist, die rational befriedigend argumentiert. Was ich sagen möchte ist: moralische Normen sind nicht oder nicht im ersten Moment eine Sache von logischen Schlussfolgerungen, sondern von Intuitionen, Gefühlen, Trieben usw. Vernunft selbst hat keine Macht, nichtmal normative Reichweite. Aus ihr heraus können alleine keine Zwecke gesetzt werden.
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 09.09.2010 22:42 von miguel.)
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