Was Religion historisch war, ist, wie gandro schon sagte, für meine Ausführungen mehr oder weniger egal. Ich habe ja bereits in Frage gestellt, ob der "griechische Kleinbauer" überhaupt religiös ist, wenn er metaphysische Spekulationen als Welterklärung verwendet.
Der Punkt bei der Kausalität ist nicht, dass sie per se schlecht ist oder dass wir aufhören sollten damit unsere Welt zu erklären. Seit Kants Erkenntnistheorie ist es aber eine sehr verbreitete Meinung, dass das einzige, was wir sehen die Abfolge von Ereignissen ist, und dass Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge auf diese Ereignissfolgen von uns projiziert werden und nicht per se in unserer Wahrnehmung enthalten sind. Wie die Dinge an sich sind, wissen wir nicht; und gandro wollte Religion den Zweck zuschreiben, zu spekulieren, wie sie an sich, hinter der Wissenschaftlichen Erklärung (die ja solche Kategorien wie Ursache-Wirkung braucht), sind.Das habe ich aber zurückgewiesen, weil es das Projekt der Sinnstiftung von Religion ebenfalls nicht wirklich in den Blick bekommt, und Religion in diesem Konzept ebenfalls ein rein deskriptives Aussagesystem bleibt (wenn auch eines, das durch wissenschaftliche Erkenntnisse prinzipiell nicht revidiert werden kann).
Desweiteren möchte ich mich auch davon distanzieren, Apologet von Kirchen und bestimmten Glaubensgemeinschaften zu sein. Wahrscheinlich würde ich sogar verurteilen, wie die meisten ihre Religion ausüben. Die Provokation, die ich begehe, ist, Religion eine Funktion zuzuschreiben, die von keinem anderen System (z.B. Wissenschaft) befriedigt werden kann, und deren Erfüllung ein menschliches Bedürfnis ist. Das Wort "Religion" erfüllt dann eine gewaltige Aufgabe, nämlich nicht nur diese, all jene Geschichten unter diesem Wort anzusiedeln, die irgendwie von "Gott" handeln, sondern alle fiktiven Geschichten und Überzeugungen, die wir entwickelt haben, um Sinn zu spenden. Darunter fallen wahrscheinlich sogar solche fiktionalen Narrative, die den Kampf gegen Bürgerrechtsverletzung und Informationsklau rechtfertigen.
Jeder Mensch braucht eine gewisse Menge rein fiktionaler, also nicht wissenschaftlich/logisch gerechtfertigter, Überzeugungen, Geschichten, Glauben um sein Handeln, Denken, Bewerten überhaupt strukturieren zu können. Jeder Mensch, der sein Handeln und die Bewegungen seines Körpers nicht als bloße Zufälligkeiten begreift, braucht irgendwie eine Geschichte, braucht Überzeugungen, die eine Struktur über sein Handlen und Bwegen bringt (Ich habe es gemacht, weil [Geschichte/Überzeugung usw.].). Sofern diese Geschichte und Überzeugungen Sinn stiften und durch wissenschaftliche Erkenntnisse nicht ersetzt werden können würde ich sie als religiös bezeichnen. Ich gebrauche das Wort in einem recht weiten, vielleicht auch schwachen Sinne, der auch an "Gott existiert" vorbeigeht (wenn man "Es gibt Gott" tatsächlich als eine (deskriptive) Existenzaussage liest, würde ich bestreiten, dass sie religiös ist).
Die Frage ist auch, ob alle die Überzeugungen, die zur Rechtfertigung/Strukturierung (in diesem Kontext meine ich damit mehr oder weniger dasselbe) von Handlungen und Körperbewegungen dienen, durch wissenschaftliche oder vernunftmäßige Erkenntnisse ersetzt werden können.
"Gefühle des Heiligen" - warum "Heilig" unbedingt theistisch denken? Ich glaube nicht, dass Religion zwingend mit Theismus etwas zu tun hat, und dann denke ich auch nicht, dass es das im Falle des "Heiligen" ist. Ich bin sicher, dass jeder Dinge hat, "die ihm/ihr heilig" sind, und darunter nicht nur Ikonen und Kruzifixe sind. Dass jeder Dinge hat, denen man eigentlich grundlos ehrfürchtig begegnet. Sei es eine Symphonie von Beethoven, eine Platte, mit der man aufgewachsen ist, oder das Grundgesetz, dessen Bürgerrechte "einem heilig sind." Jeder hat Dinge, die er besonders geschützt oder besonders exponiert und scheinbar grundlos und mit mitunter recht großem Aufwand aufbewahrt. Ist das kein Gefühl des Heiligen?