Beiträge von miguel

    Häufig wird davon berichtet, dass die Christen in den meisten muslimischen Ländern ja 0 Toleranz hätten usw. Für manche totalitäre(!) und rückständige Staaten mag das ggf. sogar richtig sein; falsch ist das für Ägypten und, so meine Behauptung, für die Türkei. In Istanbul jedenfalls gibt es hunderte christlichen Gemeinden, die friedlich neben den muslimischen leben.
    Damit ist vereinbar, dass im anatolischen Inland Christen verfolgt und nicht toleriert werden. Hat jemand hier mal versucht auf einem Dorf im Schwarzwald eine Moschee zu errichten? Weiß hier jemand, wie es sich in ostdeutschen Dörfern anfühlt als Moslem zu leben? Anatolien ist ein sehr ländliches und daher vermutlich stark traditionelles Gebiet, genauso wie man es auch von bayerischen Dörfern erwarten dürfte. Nichtmal ehemalige deutsche Ostpreußen hatten es nach dem zweiten Weltkrieg leicht, in solchen dörflichen Gemeinschaften Fuß zu fassen. Es ist ganz natürlich, dass auf dem Land erhebliches "Traditionsbewusstsein" anzutreffen ist.
    Letztlich haben wir es bei diesen Intoleranzen um keine Sache von Religion sondern um eine Sache von Lebensumständen zu tun. Dass Chiaki mit seinen Erfahrungen traurigerweise vollkommen recht hat, liegt nicht nur daran, dass man bei der Zuwanderung seinerzeit irgendwelche rückständigen Dörfler aus der Türkei rübergeholt hat, sondern auch daran, dass diese dann konstant in relativer Armut gehalten werden, da es nur den wenigstens Emigranten möglich ist, hier einen guten Schulabschluss und wirtschaftlichen Aufstieg zu schaffen. Mich würde eine Studie interessieren, die die Kriminalitätsrate unter wohlhabenden Türken hier in Deutschland beleuchtet. Von Deutschen, die in denselben Umständen aufwachsen (viele gibt es nicht, aber doch ein paar) erwarte ich eine ähnliche Kriminalitätsrate. Es gibt viele asoziale Deutsche, das habe ich erst gestern festgestellt, als es an einem Samstag Abend in einem Club fast zu einer Schlägerei gekommen wäre. Wieso redet von denen hier niemand?

    Man überschätzt offenbar völlig den Einfluss der Religion. Irgendwelche Integrationsmaßnahmen, und dieses ganze Gerede von der Zugehörigkeit des Islams zu Deutschland hängt mir zu den Ohren raus, da diese Redeweise implizit die vorhandene Segregation bestärkt, und eigentlich am eigentlichen Problem vorbeigeht: sozialen Misständen. Würden diese angegangen werden, würde man am effektivsten die Reduzierung von Gewalt und Segregation erwirken. Das Problem liegt nicht auf kulturellen Koordinaten, sondern die vorhandenen Probleme haben wir schlicht aus sozialen Misständen heraus. Dieser ganze Integrationsmüll geht am eigentlichen Problem vorbei, und ich erwarte mir davon keinerlei Veränderung. Die Geschichte der USA dürfte ein gutes Beispiel für den integrativen Effekt von wirtschaftlichem Wohlstand sein.

    Das Lesen hat Spaß gemacht. ;D Mir gefällt sehr die Art und Weise, in der du Atmosphäre erzeugst - indem du mit Beschreibungen des Ortes und des Anfühlens beginnst, und plötztlich den Namen einstreust, der meistens völlig überraschend daher kommt

    Zitat

    Er erscheint mir unsinnig (Unsinnig nach Wittgensein), bildet er doch keine Tatsache ab, sondern ist vielmehr eine unbekannte Größe.

    1. Ganz offensichtlich redest du hier ausschließlich vom frühen Wittgenstein, vom Referenztheoretiker und Autor des Tractatus. Tatsächlich hat Wittgenstein von sich behauptet, der ernsteste Kritiker gewesen zu sein, und am eindringlichsten seine eigene Referenztheorie der Sprache destruiert zu haben. Tatsächlich ging Wittgenstein in seinen posthum veröffentlchten philosophischen Untersuchungen zu einer Gebrauchstheorie der Sprache über. Wenn dieser Satz richtig ist, dann hätte Wittgenstein ihn jedenfalls auf keinen Fall bejaht.
    2. Überhaupt ist auch noch fraglich, ob dieser Satz nun wahr ist. Ich möchte keinen Talk über den Tractatus vom Zaun brechen, den ich nicht gelesen habe; dennoch - nur aufgrund der Tatsache, dass es für die Existenz einer Gottesentität nicht hinreichend Belege gibt, ist nichts gegen die Tatsächlichkeit Gottes gesagt. Tatsächlich vermag niemand berechtigterweise Gott seine Tatsächlichkeit abzusprechen. Es ist überhaupt noch nicht gesagt, dass das Wort "Gott" auf keine Tatsache referiert.

    Überhaupt auch stört mich dieses völlig verengte Paradigma einer Referenztheorie der Sprache, die offenbar als normatives Framework über die Sinnig- und Unsinnigkeit von Sprache funktionieren soll. Wirklich keiner in den aktuellen Debatten vertritt noch diese antiquierte Positionen, und selbst erwähnter Wittgenstein hat später konstatiert, dass wir für die meisten der Begriffe die wir im Alltag und auch in wissenschaftlichen Diskussionen verwenden weder eine Definition haben, noch eine Definition bräuchten.
    In meinen vorherigen Posts habe ich dafür argumentiert, dass der, der die Genesis auf einen Bericht über das, was der Fall war reduziert, dass der, der die Frage nach Gott als eine metaphysische Frage nach der Existenz einer gewissen, wie auch immer gearteten Entität auffasst, und dass der, der Religion als etwas, das metaphysische Behauptungen macht, versteht, Religion schlicht und einfach nicht verstanden hat. Gerade das ist die Lehre, die du aus deinem Post ziehst: insofern du zu einem etwas unkonkret formulierten Schluss kommst, dass Religion den Menschen Kraft gibt, muss klar sein, dass die religiöse Sprache in einem anderen Modus als referentiell funktioniert.

    Richtig, exakt das sage ich! Es ist die Kirche, es sind Dumpfbacken, die das sagen; aber das hat nichts mit Religion zu tun. Hier ist wie immer die Differenz eines soziologischen/politischen Religionsbegriffs und eines philosophisch/hinterweltlichen.

    Wie du/ihr den Buddhismus seht, interessiert mich immer noch. Der ist ja sehr sicher Religion. Er ist atheistisch. Man könnte wahrscheinlich sogar eine gewisse Jenseitsvorstellung absprechen. Was ist an dem falsch?

    "Leben ist Leid"; das ist ein tolles Wort, das den Sinn von Religion glaube ich gut zum Ausdruck bringt. "Leben ist Leid" - das ist keine Aussage, die man irgendwie als eine Aussage über Fakten denken kann, sie deutet das, was unser Leben ausmacht. Sie ist religious at its purest.

    Du gibst der Religion Schuld an den fundamentalistischen Spinnern, und sagst, dass die, die Relgion aufgeklärt praktizieren, dadurch zu einem ausserreligiösen Einfluss genötigt worden sind. Warum nicht annehmen, dass bei den religiösen Spinnern was schief gelaufen ist, was außerhalb der Religion liegt? Z.B. extreme soziale Armut (es gibt sicher noch weitere Faktoren, die mit einspielen / die es verursachen könnten), was zum Teil die orthodoxen Religionspraktiken im Mittelalter, Antike usw. plausibel machen kann. Das ist eine grundlose Dämonisierung von Religion; Alkohol ist auch schädlich, aber niemand würde für ein Verbot stimmen, da der Missbrauch meistens durch andere, äußere Übel verursacht wird.

    Davon abgesehen muss ich mich gandro ganz und gar anschließen; ich hatte oben schon versucht, anzudeuten, dass Commo eher aus einer soziologischen Perspektive auf das Phänomen Religion blickt, und ich eher versuche der Religion philosophisch etwas abzugewinnen/den Anspruch einer philosophischen Religoinskritik habe.

    Ich finde wirklich, dass wir den Buddhismus diskutieren sollten - ich selbst habe dabei keine Kritik. Der Buddhismus zeigt, finde ich, vorbildlich, was ich zum Teil auch versucht habe zu zeigen: dass mN Religoin durchaus nicht theistisch/orthodox/naiv denken muss.

    Zitat von oreissig

    was mich hier langsam echt aufregt ist, dass nie mal jemand zum Kern unserer Aussage bezug nimmt, die commo und ich hier seit Threadseiten sagen:
    Warum muss man für Sinnbildung im Leben auf einen antiquierten Tatsachenbericht aufsetzen?

    Niemand hat das behauptet. Ich habe argumentiert, dass man Sinnstiftung schlicht nicht auf einem Tatsachenbericht (als Tatsachenbericht verstandenem Text) aufbauen kann.

    Dazu, dass Rationalität nicht Sinnstiftung leisten kann, nehme ich zu einem späteren Zeitpunkt vielleicht nochmal Stellung.

    Auf Igors Beiträge habe und werde ich nicht reagieren, weil sie glaube ich keine neuen Probleme aufwerfen, die ich mit Commo und o nicht so oder in sehr ähnlicher Form schon diskutiert habe.

    Du begehst wahrscheinlich eine Äquivokation. Bei "Religon de Fakto" und "Religionskritik" verwendet man nicht denselben Sinn von "Religion", oder es ist nicht interessant, würde ich sagen.

    Du hast eigentlich selbst gesagt, dass deine Kritik an dem vorbei geht, was wesentlich zur Religion gehört / dass deine Kritik eine "De Fakto"-Religion in den Blick nimmt. Du kritisierst nicht Religion in seinem wirklichen Wesen, sondern du kritisierst Dumpfbacken, die an einen bärtigen allmächtigen Opa glauben. So als wenn du Merkel kritisieren würdest, den Konservatismus aber insgesamt ok findest. Oder so, als wenn du du das Dreigliedrige Schulsystem kritisierst, gegen Schule aber insgesamt nichts hast.

    Würde man dann noch von "Religionskritik" sprechen? Wenn man in diesem Wort "Religion" als "De Fakto"-Religion kritisiert ist es höchstens eine "Dumpfbackenkritik"; dann ist das eine Kritik, die vielleicht gerademal sozialwissenschaftlich ist (Dumpfbackenkritik finde ich nicht spannend). Wenn man "Religionskritik" aber als ein philosophisches Projekt, dass in das tiefe Herz der Religion stoßen soll, begreift, dann habt ihr noch zu wenig getan.

    Vielleicht wolltet ihr das aber auch garnicht. Vielleicht können wir so verbleiben, dass wir beide eine Kritik eines Glaubens an bärtige allmächtige Opas akzeptieren, aber darüber einig oder wenigstens noch unentschlossen verbleiben, dass Religion in ihrem tiefen Herzen nicht ersetzt werden kann.

    Zitat von Commodore-Freak

    Ich glaube deine Definition von Religion ist einfach total absurd. Leute, die nicht an die Inhalte von Religion glauben, sind doch dem Wort nach nicht religiös.
    Nach deiner Definition, dass jeder, der religiöse Schriften liest und daraus irgendwelche Erkenntnisse zieht, religiös ist, wären selbst die meisten Atheisten und Agnostiker religiös, und das obwohl sie die meisten Komponenten (die nach wie vor - und da kannst du so lange das Gegenteil behaupten wie du willst - im Kern zur Religion dazu gehören) wie der Glaube an einen Gott, ein Jenseits oder andere metaphysische Dinge ablehnen. Diese Definition kann ich beim besten Willen nicht akzeptieren.

    Sie gehören doch ganz offensichtlich nicht zum Kern von Religion, da sie in keinem Falle helfen können, die religiöse Funktion zu erfüllen. Ihr klammert euch an orthodoxe Auslegungen von Religion, die so in der Praxis einfach nur von Unreifen oer Hardlinern gefahren werden, die einfach nicht zum eigentlich Religiösen gehören. Nie wird auch nur ein Beispiel genannt, das einen nicht-orthodoxen Umgang mit Schrifttraditionen in den Blick nimmt, noch nie habt ihr das gemacht. Was macht ihr euch eigentlich für einen leichten Gegner? Ne orthodox gelebte Schrift steht unter aller Kritik, das ist vor-aufklärerisch. Warum beschäftigt ihr euch mit so nem Zeugs? Es ist völlig indiskutabel, dass man z.B. die Bibel nicht wörtlich nehmen darf - aber es stellt sich heraus, dass das auch garnicht das ist, was notwendig wäre, damit Religion ihre Funktion erfüllen kann. Es ist keine sache bloß einer von mir willkürzlich gewählten, rein subjektiven Definition, dass dies hier nicht ist, was Religion eigentlich ist.
    Du kannst das auch nicht auf "schriften lesen und irgendwelche ERkenntnisse" daraus ziehen herunterreden; es geht hier um ein Verhalten zur Welt, um Weltdeutung. Das kann ich ganz einfach nicht aus einer offenbar positivistisch verstandenen Rationalität hernehmen. Aus Rationalität gewinnt man eben keine Werte; nicht aus ihr alleine, damit solltet ihr euch endlich mal abfinde.n

    Zitat von Commodore-Freak

    Ich bezweifle ja nicht, dass es Leute gibt, die sinnvolle Erkenntnisse aus religiösen Schriften ziehen können. Sofern sie sich aber nur auf dieser analytischen Ebene mit der Religion befassen und nur die sinnvollen Erkenntnisse extrahieren, dabei allerdings nicht wirklich an die Existenz eines Gottes glauben, nicht zur Kirche gehen etc., dann sind sie nicht religiös. Jemand, der nicht an die Inhalte seiner Religion (und dazu gehört im Falle des Christentums beispielsweise ganz eindeutig die Existenz eines Gottes, nicht nur das lernen aus religiösen Schriften) glaubt und trotzdem in die Kirche geht und Gott huldigt, obwohl er nicht von dessen Existenz überzeugt ist, ist in meinen Augen einfach dumm.

    Sie sind dann sehr religiös; sie sind bloß nicht orthodox. Das Problem, das mir eure Beispiele bereiten, kann ich jetzt auch derart präzisieren: sie setzen eine orthodox gelebte Texttradition (das Wort Religion vermeide ich hier) voraus.
    Das Beispiel von einem Mann der a) Bibeltexte metaphorisch liest und b) an Gottes Existenz glaubt hat wiederrum diese Eigenschaft, und mir ist es deswegen egal, weil das Anbeten eines für existent gehaltenen personalen und anthropomorphen Gottes durchaus nicht religiös ist.
    Meine Thesen werden dann plausibler, wenn man mal Beispiele durchgeht, in denen Leute nicht orthodox ihre Schriften auslegen - und diese Leute sind eigentlich in der völligen Mehrheit. Hier wird so getan, als ob Leute, die religiös leben (ich behaupte, dass alle Menschen religiös leben, aufgrund der Beschränkung von Rationalität, aber das ist ei anderes Fass) irgendwelche unmündigen vollidioten wären, die an irgendeinen Gott-Cartoon glauben oder radikal orthodoxe Hardlinder wären. Ihr kritisiert nur diejenigen, die in eine dieser beiden Kategorien fallen - so wie dieser amerikanische Comedian, der dafür einen ekelhaft oberflächlichen und reingeschnittenen Jubel bekommt.

    Zitat

    Wegen dem Tatsachenbericht: Wann gehst du endlich mal darauf ein, dass eine Fiktion, die um einen ehemaligen, aber falsifizierten Tatsachenbericht herumgestrickt ist, einfach mal quatsch ist?


    Ich habe öfters gesagt, dass mir die Geschichte von Texttraditionen recht egal ist. Mich interessiert nicht, ob/dass man früher die Bibel wörtlich gelesen hat. Das habe ich bereits im ersten Absatz von #64 gesagt.
    Wenn man die Bibel unter dem ASpekt von Weltdeutung betrachtet, ist es egal, ob die Aussagen des Textes wenn man ihn wörtlich liest falsifiziert sind oder nicht. Auf der Ebene, auf der ich Religion ansiedle - und das habe ich schon wirklich oft gesagt - ist diese deskriptive Bedeutungsebene schlicht und einfach historisch wie auch systematisch vollkommen egal.

    Für mich ist die Diskussion eigentlich zu einem Ende gekommen, weil ich mehr und mehr nur noch auf schon gesagtes verweise, häufig wirklich nur noch wiederhole und nicht mehr expliziere/verfeinere.

    Absurd - ich würde sagen, es wäre raffiniert.

    Ich wollte in #44 schon Beispiele geben.
    Die Simplifikationen hapern daran, dass sie aus religiösen Menschen immer irgendwie unmündige Personen machen, die an einen Gott glauben, der da mit Bart in der Welt hockt. Der Punkt ist - ihr bringt Beispiele, in denen Religion bloß als Tatsachenbericht aufgefasst wird. Und das erfordert viel simplifikation; hieran hapert es (und das habe ich auch woanders mal gesagt glaube ich).

    "Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde; die Erde aber war wüst und wirr, Finsternis lag über der Urflut und Gottes Geist schwebte über dem Wasser.
    Gott sprach: Es werde Licht."
    "Der Mensch ist das Ebenbild Gottes."
    "Er schuf Eva aus einer Rippe von Adam." (Ich bin mit der mittelbaren Aussage davon übrigens nicht einverstanden).

    Wie gesagt: es wäre geradezu absurd, sich die Szene auszumalen, wie Gott das Skalpell an Adam ansetzt. Dass Adams Rippe der Grundstock für Eva darstellt deutet Weiblichkeit in einem bestimmten Licht. Als ein "zweites Geschlecht" sozusagen; das ist ja auch die das ganze abendland bestimmende Vorstellung, und begründet gleichzeitig auch das Primat, also Zuerstkommen, Vorher Dasein, des Mannes. Der Fakt der Zweigeschlechtlichkeit wird in ein bestimmtes Licht gerückt, und man kann sich dazu nun verhalten (ob dies richtig ist oder nicht spielt gerade keine Rolle).
    Die Bedeutung dieser Überlieferung in ihrer Wörtlichkeit zu sehen ist hier völlig absurd; ich glaube, man überschätzt, wie plausibel eigentlich die Beispiele dieser ganzen infantil gebliebenen, die eine Gottesprothese brauchen, sind. Es gibt auch sehr, sehr viele Gegenbeispiele für Leute, die mit einem christlichen Erbe auf höherem Niveau umzugehen wissen.